Einer der großen Vorteile als Unternehmer ist, dass niemand einem vorschreibt, was man zu tun hat. Aber ist das wirklich so ein großer Vorteil?
Zwei Monate nach der Gründung unseres Unternehmens. Die Webseite war noch nicht online, wir hatten kein Produkt und folglich auch noch keine Kunden – geschweige denn Umsätze. Es gab noch viel zu tun. Mein Mitgründer drehte sich zu mir um: „Sag mir, was ich machen soll.“ Ich wusste selber nicht, was wir machen sollten…
In der Schule schon wird uns beigebracht, das zu tun, was uns aufgetragen wird. Mach jetzt diese Aufgabe, beschäftige Dich in den nächsten 45 Minuten mit Deutsch. Die Freiheitsgrade in der eigenen Schulausbildung beschränken sich auf die Wahl weniger Fächer und hin und wieder eines von drei Themen für ein Referat. Diese Fähigkeit zum Gehorsam ist uns dann im Berufsleben sehr dienlich, wenn der Chef uns sagt, was wir machen sollen.
Wir haben einige Monate gebraucht, bis wir uns diese Konditionierung wieder abgewöhnt hatten. Als Unternehmer müssen wir entscheiden, was getan wird. Und ich sage Euch: Das ist nicht leicht.
Ich habe für mich einmal das Getting-Things-Done-System implementiert. Alles, was wir tun müssen oder tun können, habe ich in Listen eingetragen. Es waren am Ende 200 Einträge. Da geht es nicht mehr um Priorisierung. Da geht es darum zu entscheiden, was man nie mehr machen wird. Manchmal wünschte ich, dass mir ein Chef sagt, was zu tun ist.
Wenn es nicht meine Entscheidung ist, bin ich emotional vom Haken. Es wäre nicht mein Problem, ob es nicht etwas Besseres gegeben hätte. Es wäre nicht mein Problem, dass ich eine Woche Arbeit in ein Thema stecke, was sich am Ende als doch nicht praktikabel herausstellt. Die Entscheidung ist leider nur meine und ich muss mit den Konsequenzen leben.
Man ist sein eigener Chef, aber als eigener Chef ist man ein riesiges A****loch. Kein Feierabend, kein Urlaub. Und, wenn man etwas falsch gemacht hat, dann sitzt einem dieser Chef im Nacken, als wenn es keinen Morgen mehr gäbe. Wie soll man in so einer Situation eine gute Entscheidung treffen?
Der eigene Chef sein, für niemanden anderen arbeiten. Möchte ich tauschen? Natürlich nicht! Es ist großartig, die Entscheidungen selbst treffen zu können. Es dauert nur eine Weile, sich daran zu gewöhnen, und leicht ist es nie. Ich wünschte mir nur, dass wir in der Schule auch lernten, entscheiden zu können, was wir machen wollen.
Eine Antwort auf „Niemand sagt Dir, was Du tun musst!“
Hallo, ich bin der Mitgründer 🙂 In dem Text ist „von ein paar Monaten“ die Rede. Tatsächlich gibt es unsere Firma seit fast 10 Jahren und ich arbeite immer noch daran, mich von der Konditionierung unseres Bildungssystems zu lösen.
Aus meiner Erfahrung fehlt einem als selbstbestimmte/r UnternehmerIn für viele Aufgaben eine Deadline. Anders als in der Schule, kann vieles begonnen und liegengelassen werden – ohne direkte Konsequenz.
Über die Jahre habe ich mir antrainiert Aufgaben zu beenden. Sich eine Sache vornehmen, die dann fertiggemacht wird. Dann die nächste. Dies nimmt die Komplexität der 200 Aufgaben, die warten. Es fördert den Fokus.
Die Arbeit kann so zu einer meditativen Tätigkeit werden. Da unsere Umwelt sich stetig verändert, wird auch unsere To-Do-Liste immer endlos bleiben. Mich entspannt es daher, nicht gegen die To-Do-Liste anzuarbeiten. Viel mehr genieße ich es, mich den endlosem Aufgabenberg zu widmen. In dem Bewusstsein, nie fertig zu werden.
Die eigenverantwortliche, unternehmerische Tätigkeit habe ich für mich neu definiert. Der Weg ist das Ziel, denn am Ziel bist du tot.